David Polzin
Atmung der Verwahrlosung (2024)
(Text: Cornelia Herfurtner)
Zentrales Element des Reenctractments Atmung der Verwahrlosung des Veltener Künstlers David Polzin bilden Aufnahmen von und Gegenstände aus seiner ersten Assemblage: seinem letzten Jugendzimmer (1998 - 2003). In komplexen und sich über die Zeit verändernden Arrangements kreuzen sich verschiedene Stränge der Zeit nach der deutsch-deutschen Vereinigung1. Neben dekonstruierten Verpackungskartonagen, Kleidungsstücken und weiteren Alltagsgegenständen bestand die Assemblage aus selbst hergestellten Gebrauchsobjekten, wie dem Aschenbecher (1998), und Malereien, wie dem Großen Klotzbild (2003).
Mit dem Titel verbindet Polzin zwei Komplexe:
Das Wort Atmung beschreibt einen lebenswichtigen, oft nicht bewusst gesteuerten, Prozess. Für Polzin beschreibt er wie Dinge und Informationen in einen Raum kommen, durch ihn hindurchgehen und ihn wieder verlassen. Die Dinge, die sich im Raum transformieren und hängenbleiben, werden Kunst. Diese Transformation sehen wir zum Beispiel im Großen Klotzbild, welches an der Innenseite der Zimmertür entstand. In ihm wird das Chaos des Zimmers geordnet, entsteht eine sortierte Welt mit klaren Regeln.
Mit dem Wort Verwahrlosung spricht er die Bedingungen der Entstehung der Assemblage an. Da sind die Familienverhältnisse, die vom Alkoholismus der Eltern, sowie internalisiertem Klassismus geprägt sind. Letzterer führt dazu, dass die Eltern den Jugendlichen nicht vor Gewalt und Ausgrenzung schützen, sondern ihn selber für seine Situation verantwortlich machen. Zum anderen sind da die gesellschaftlichen Verhältnisse nach der deutsch-deutschen Vereinigung: Arbeitslosigkeit, Privatisierung, Umbau des öffentlichen Raums zu Räumen des Konsums und rechte Gewalt auf den Straßen. Diese Umstände tragen dazu bei, dass sich die Arbeit des Künstlers in seinem Zimmer konzentriert. Zugleich geht mit Verwahrlosung eine oft unbewusst oppositionelle Haltung zu geltenden Normen einher, die in bewusster Form das Werk des Künstlers bis heute kennzeichnet.
Atmung der Verwahrlosung zeigt Kunst, die nicht nur wichtig ist für jene, die sie sich leisten können, sondern als überlebenswichtigen Prozess der Ausgegrenzten und Ungesehenen einer Gesellschaft.
1 Der Begriff deutsch-deutsche Vereinigung stammt aus dem Buch Erinnern Stören. Der Mauerfall aus migrantischer und jüdischer Perspektive (Hg. Lierke, Perinelli; Berlin; 2020) und beschreibt rassistische Ausgrenzung und Nationalismus in West- und Ostdeutschland als Triebfeder der sogenannten Wiedervereinigung.